Pennertaxe

..ist der politisch sicherlich nicht korrekte , aber selbstgewählte Ausdruck der Berliner Feuerwehr für ihren Rettungsdienst. Da ich in Berlin selbst keine notärztliche Tätigkeit ausübe, ist mir die Zusammenarbeit mit dem Berliner Rettungsdienst bislang meist erspart geblieben. Vor ein paar Wochen war ich im brandenburgischen Randgebiet zu Berlin tätig und erhielt einen Einsatz in Brandenburg, zu dem die Berliner Feuerwehr ebenfalls ausrückte. Eine ältere, angetrunkene Dame hatte einen Krampfanfall erlitten. Bei Eintreffen war sie – wie es meist der Fall ist – bereits wieder ansprechbar. Anwesend war eine ebenfalls angetrunkene ältere Dame, die den Rettungsdienst alarmiert hatte. Immerhin, Blutdruck und Puls der Patientin waren bei unserem Eintreffen schon gemessen, Sauerstoffsättigung im Blut mit 91% etwas erniedrigt. Mein Rettungsassistent meinte zu seinem Berliner Kollegen „Blutzucker kannst Du ja dann aus der Flexüle machen.“ – „Ich brauche doch keine Flexüle für einen BZ!“ war die entrüstete Antwort, die mir entging. Nach Befragung der Patientin, die den Verdacht auf akute Suizidalität ergab, war klar, wir nehmen sie mit. „Ich hole mal den Tragestuhl“ sprach Rettungssanitäter und verschwand, bevor ich anwies, die Patientin im RTW auf die Trage zu legen. Im RTW wollte er mir die Patientin (Z.n. Krampfanfall, eingeschränkte Sauerstoffsättigung) in die Ecke vorne links auf dem Tragestuhl lassen. „Die Patientin geht auf die Trage“ wies ich an. Verdutzter Blick, Nachfrage „Auf die Trage?!“ – „Ja, auf die Trage! Dann legen wir eine Flexüle.“ – „Aha.“ (Dachte ich auch). Die Idee, eine alkoholisierte Patientin mit einer eingeschränkten Sauerstoffsättigung ohne venösen Zugang in die Ecke zu platzieren erscheint dem erfahrenen Rettungsassistenten/Arzt doch eher abstrus – sie kann jederzeit wieder krampfen, im Extremfall eines Status epilepticus müsste man in Bereitschaft einer Barbituratnarkose sein. Wenn man im Ausnahmefall einem Patienten mit desolatem Venenstatus keinen venösen Zugang legen kann (und man ihn/sie noch nicht mit einem intraossären Zugang versorgen muss), ist es eine Möglichkeit, ihn einzupacken und schleunigst in eine Rettungsstelle zu verfrachten. Aber das sollte bitte nicht erste Wahl sein. Unsere Patientin hat dann im Krankenhaus auch noch erzählt, daß sie zusätzlich ein Benzodiazepin eingenommen hatte (was die erniedrigte Sauerstoffsättigung erklärt und ein erhöhtes Risiko für ein „Atemversagen“ bedeutet).

Zwischen Fachidiotie und Subspezialisierung

In der Märkischen Allgemeinen Zeitung vom 22.9.2012 findet man auf der Titelseite unter der Überschrift „Notärzte sind oft überfordert“ die mittlerweile schon alte Debatte um einen Facharzt für Notfallmedizin.

Im Wirtschaftsteil derselben Ausgabe geht aus der Diskussion hervor, daß mit dem Begriff Notarzt diejenigen bezeichnet werden, die in Rettungsstellen (was ein alter Berliner Ausdruck für Notaufnahme ist) arbeiten und nicht etwa diejenigen Kollegen, die die Voraussetzungen für den Rettungsdienst erfüllt haben und entweder die Fachkunde Rettungsdienst oder die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin erworben haben – unsaubere Ausdrucksweise, denn letzteres wäre die korrekte Definition des Begriffs Notarzt. Zitiert wird in im weiteren das Vorstandsmitglied der Berliner Ärztekammer, Herr Wyrich, der aufgrund der immer weiter reichenden Spezialisierungen der Fachgebiete Schwierigkeiten bei der Diagnosestellung sieht. Herr Wyrich fordert eine fünfjährige Ausbildung zum Facharzt für Notfallmedizin. Die Forderung wird immer wieder gestellt, jedoch wird nur selten hinterfragt, warum. Es gibt klare Weiterbildungskataloge für die großen Facharztausbildungen (man verzeihe einer Fachärztin für Innere Medizin die Arroganz Chirurgie, Innere Medizin und Neurologie als die großen Facharztausbildungen zu bezeichnen), die es bei Einhaltung ermöglichen, eine gute Grundausbildung zu erhalten, welche die daraus hervorhegehenden Fachärzte befähigt, Diagnosen zu erheben und Behandlungen vorzunehmen oder weiterzuleiten.

In Rettungsstellen werden – und dies wird in jenem Artikel klar benannt – nämlich just die Kollegen eingesetzt, die die geringste Erfahrung haben und die von einer etwaigen Voraussetzungen allenfalls gehört haben (zu diesen Voraussetzungen gehört u.a. eine mindestens 1,5 Jahre dauernde klinische Tätigkeit vor Beginn der Weiterbildung zum Erwerb der Zusatzbezeichnung, eine bestimmte Zeitspanne auf Intensivstation oder einer Notfallaufnahme). Wie diesem Sachverhalt mit einer neuen Facharztausbildung begegnet werden kann, habe ich nicht verstanden. Dies ist eine organisatorische und allenfalls politische Frage, die von den fachvorgesetzten Kollegen, den Krankenhausverwaltungen und – da diese es in den letzten Jahrzehnten nicht geändert haben – allenfalls der Politik zu klären ist.

Fakt ist auch, daß es in nicht wenigen Rettungsstellen in Brandenburg Kollegen gibt, die vorwiegend als Notärzte arbeiten (und ich bezeichne damit Kollegen mit Fachkunde Rettungsdienst oder Zusatzbezeichnung Notfallmedizin), ihre ursprünglichen Fachkenntnisse hinter sich gelassen haben („Ich bin hier nur der Notarzt“) und sich als Weiterreicher an die in den jeweiligen Häusern tätigen Kollegen der jeweiligen Abteilungen betätigen. So kommt es nicht selten vor, daß junge Patienten mit Synkope bei Gastroenteritis von einem Facharzt für Innere Medizin an einen wesentlich jüngeren und unerfahreneren Kollegen zur Aufnahme (!) weitergeleitet werden – nicht selten ohne eine komplette körperliche Untersuchung (die nicht sehr zeitaufwändig ist). Solche „Notfallpatienten“ (Eigendefinition der jeweiligen Patienten) werden dann in Krankenhäuser aufgenommen (ein Facharzt hat sie ja für aufnahmewürdig/-pflichtig befunden), verbreiten die entsprechenden Keime unter wesentlich älteren Patienten und Personal und leisten einen wesentlichen Beitrag zur Kostensteigerung im Gesundheitswesen. Arbeitszeit nehmen sie sowohl vom Facharzt der Rettungsstelle wie auch von der Fachabteilung in Anspruch, da die lästige körperliche Untersuchung eines infektiösen Patienten dem jungen Kollegen überlassen wird. Nachts wird das Motto „ich bin ja nur der Notarzt“ dann perfektioniert: „Was?! Gastroenteritis? – Ruf´den Internisten!“. Derart sortieren und Patienten adäquat verteilen können auch erfahrene Rettungsstellenschwestenr/-pfleger – und das oft besser als junge unerfahrene Kollegen. Mit Infusionen (ja, auch wir sind Dienstleister und müssen die Kundschaft zufriedenstellen; ja, auch ich habe Gastroenteritis ohne Infusionsgabe überlebt) ein bißchen Geschick und Umgangsformen lassen sich solche Patienten meist erklären, daß man ihren Auftrag („Machen Sie, daß es weg geht!“ – das ist kein Witz sondern die am häufigsten gegebene Antwort auf meine höfliche Nachfrage nach meinem Zielauftrag) schlicht nicht erfüllen kann und sie doch lieber im eigenen Bett bzw. über der eigenen Kloschüssel hängen wollen/sollten. Verantwortliche Arbeit von Notärzten kann auch zur sinnvollen Diagnose, Behandlung oder Weiterleitung führen – dies sei auch hier unbestritten, die Häufigkeit eines solchen Verhaltens dürfte wohl eher gering sein. Der Begriff des Facharztes für Notfallmedizin hat den Nimbus, nur für das akute Problem zuständig zu sein – nur ist das in der Realität leider nicht zielführend, da (außer in manchen chirurgischen Fällen) die gesundheitlichen Probleme von akut kranken Patienten doch komplexer sind, als der Begriff „akut“ vermuten lässt.

Womit wir bei der Definition von „Notfallpatienten“ wären. In dem eingangs zitierten Artikel wird ein Spektrum von Schnittwunde bis Herzinfarkt beschrieben. Grob betrachtet ist das nicht falsch, der weitaus größte Anteil der Patienten besteht aus hausärztlich zu lösenden Problematiken („Habe es die ganze Woche nicht zum Arzt geschafft“) wie dicker roter Zeh, Bauchschmerzen seit 1 Woche, juckender Ausschlag seit 1 h (Uhrzeit 7 Uhr morgens werktags), Schwellung im Daumen seit 1 h („das ist doch gefährlich!“ war Hämatom – „Wenn´s schlimmer wird, kommen wir sofort wieder“- „Neín, wenn´s schlimmer wird, gehen sie morgen zum Hausarzt“ – ja, das habe ich wirklich gesagt, in ruhigem, höflichen Ton), Schwindelgefühl intermittierend aber nicht gerade jetzt usw. Diese geschätzten 80% der Patienten im Nacht- und Wochenenddienst von Notaufnahmen nehmen den in den Notaufnahmen tätigen Kollegen die Energie und die Zeit, die wirklich kranken Patienten effektiv herauszufiltern. Wenn man sich 12 Stunden den Mund fusselig geredet hat, Untersuchungen in Auftrag gegeben und ausgewertet hat, sich zu jedem der Patienten noch Gedanken gemacht hat und diese dokumentiert hat (sonst gilt all das nicht als gemacht, was auch nicht falsch ist, denn es muss nachvollziehbar sein) dann kann man froh sein, wenn man noch geradeaus gehen kann. Selbst mit einem guten Grundgerüst an Kenntnissen und der erforderlichen Routine wollte ich von mir selbst nach12 oder gar 24h durchgehender Arbeit nicht mehr behandelt werden. Ein lückenhaftes Netz an niedergelassenen Ärzten sowie Kollegen, die den 24/7 Dienst der KV eben nicht verantwortungsvoll versehen sondern Patienten telefonisch an die Rettungsstelle verweisen (und nicht selten mit frechen und falschen Bemerkungen wie „Nein, ich kann Ihnen kein Kassenrezept ausstellen, das kann nur die Rettungsstelle“ – die darf es ja meist gerade nicht, wenn sie wie meist keine Ambulanzzulassung der KV zur Behandlung ambulanter Patienten hat) tragen zur Patientenbeschaffung und Kostensteigerung im Gesundheitswesen bei. Warum Krankenhäuser das nicht abwehren? Weil die niedergelassenen Kollegen die Hände sind, die sie mit Einweisungen füttern und man diese Hände nicht schlägt. Noch dazu lebt man ja von der Kundschaft vor Ort (insbesondere kleinere Häuser), so daß man alles versucht, sich diese auch nicht zu verprellen. Unbequeme Wahrheiten wie diese sagt auch kein Politiker (zumindest nicht ungestraft) seinen potentiellen Wählern.

Gerufen wird von der Deutschen Gesellschaft für Interdisziplinäre und Akutmedizin (DGINA) nach Generalisten in der Notaufnahme. Ich war bislang der Ansicht, daß man den Facharzt für Allgemeinmedizin noch nicht abgeschafft habe. Zugegeben ist es schwer, einen zu finden, der die Entscheidungen trifft, statt sie weiterzurreichen,aber noch ist es einfacher, als eine eierlegende Wollmilchsau zu erfinden.

Zum Abschluß stelle man sich bitte folgendes vor: einen Kollegen im ersten Weiterbildungsjahr an einem Wochenenddienst in einer natürlich brechend vollen Rettungsstelle mit 150 Patienten täglich, (zusätzlich hat er die stationären Patienten zu versorgen, die in der Rangfolge meist nach der Rettungsstelle dran sind). Zwei davon sind wirklich so krank, daß sie dringend ärztliche Hilfe brauchen – welche Rolle hätten Sie gerne?

Der kleine große Unterschied

Fachspezifisch ist die Anästhesie das kleinere Fachgebiet im Vergleich zur Inneren Medizin. Sie ist aber wesentlich präziser in ihrem Wissen um die (in der Anzahl deutlich geringeren) Medikamente. Nie waren mir die Haupt- und Nebenwirkungen, die ich angewendet/verordnet habe so klar wie jetzt. In der Inneren Medizin verordnet man eine Fülle von Medikamenten – deren Nebenwirkungen, Interaktionen und Dosierungen man so lange nachsieht, bis man diejenigen der gängisten auswendig kennt. Man kann aufgrund der Vielzahl unmöglich alle Haupt- und Nebenwirkungen in- und auswendig kennen. Nachsehen wäre in der Anästhesie unmittelbar vor der Anwendung eher peinsam – äh, entschuldigen Sie mich kurz, ich muß mal kurz nachsehen, welchen Cocktail ich Ihnen gleich verabreiche – wohl eher nicht…

Nein, ich habe nicht vergessen, daß die genaue Wirkungsweise der meisten Narkotika nicht bekannt ist. Narkotika sind aber nicht die einzigen Medikamente, die man während einer Narkose verabreicht.

Man versorgt seinen Patienten an einem sehr empfindlichen Punkt von der Prämedikation bis zur postoperativen Visite. Die sensibelsten (wenn man jetzt mal nur den eigentlichen Anästhesieteil betrachtet und die Intensivmedizin ausklammert) hiervon sind Ein- und Ausleitung sowie Durchführung einer Narkose. Die Reibungsfläche mit Patienten und Angehörigen ist extrem gering – man tut etwas, das gewünscht ist (in aller Regel erfüllt man den klaren Zielauftrag).

In der Inneren Medizin hat man oft genug keinen oder zumindest keinen erfüllbaren Zielauftrag. Was man empfiehlt/verordnet wird in den seltensten Fällen befolgt/eingenommen. Schuld ist….aber selbstverständlich, der Doktor!

Die Arbeitszeiten – könnten nicht unterschiedlicher sein! In der Anästhesie die geregelte, früh beginnende Arbeitszeit – in der Inneren Medizin die vielleicht früh beginnende aber sicher nur in den seltensten Fällen pünktlich endende Arbeitszeit. Angehörige arbeiten ja auch und wollen gerne Auskunft haben – am liebsten nach 16 Uhr – meist im Dienst, geht halt manchmal nicht anders.

Wenn man in einer anästhesiologischen Abteilung arbeitet, in der man nicht die Rettungsstelle (eines der letzten verbliebenen „Ostworte“ für Notaufnahme) eines in Anzahl  hausärztlich schlecht über die Qualität der wenigen verbliebenen die sich alles leisten können schweigen wir auch lieber versorgten Flächenlandes oder einer Großstadt mit anspruchsvollem Patientengut befindet, der sich nicht mit Bagatellerkrankungen befassen muss, bleibt einem das Gejammer Wehklagen der Patienten auch dort erspart. Rettungsdienst kann dann zu einer meist gut bezahlten Nebentätigkeit z.B. in einem Flächenland werden.

Lang, lang ist es her…

…daß ich hier etwas geschrieben habe. In eigener Sache zuletzt im Juli 2010. Viel ist passiert seither – ich habe erfolgreich meine Facharztprüfung Innere Medizin abgelegt, das Fachgebiet und den Arbeitgeber gewechselt. Für mich war es die beste Entscheidung meines Lebens in die Anästhesie zu wechseln. Ich bin von einer frustrierten Assistentin im Hamsterrad einer Klinik (oder vielleicht besser: einer internistischen Abteilung) zu einer zufriedenen Assistentin mit einer geregelten Arbeitszeit geworden. Das Wort Lebensqualität ist keine Worthülse sondern Realität.

Anästhesisten sind bei Patienten erst einmal per se gut angesehen – wer möchte ach schon ohne Narkose operiert werden? In geregelter Arbeitszeit kann ich – selbst zufrieden und entspannt den Patienten auch genau so begegnen, bin sensibel für ihre Sorgen, ihre Bedenken, ihre Ängste. Meine Gelassenheit liegt natürlich auch in der Atmosphäre begründet, die mein Arbeitgeber schafft (und nein, ich schreibe hier nicht in der ersten Begeisterung sondern nach knapp einem Dreivierteljahr).

Meine Sensibilität für die Anliegen und Sorgen von Patienten und ihren Angehörigen habe ich schon in meiner (ausklingenden) internistischen Zeit geschärft durch die Teilnahme an einer sogenannten Balintgruppe– das kann ich jedem internist. Assistenten und anderen aus dem Hamsterrad nur empfehlen.

Auch an mir selbst habe ich gearbeitet – kein Wechsel des Arbeitgebers geht vonstatten, ohne daß man in einer neuen Umgebung Federn läßt – autogenes Training hat mir sehr geholfen.Man möge bitte nicht glauben, ich lebte in oder auf einer rosa Wolke – auch ich habe mit großen und kleinen Schwierigkeiten zu kämpfen wie wir alle – aber trotz alledem bin ich zufrieden.

 

Gastbeitrag: Familiaere Dysautonomie – eine Generkrankung unter ashkenasischen Juden

Das „Center of Familial Dysautonomia“ im Hadassah-Krankenhaus auf dem Skopusberg in Jerusalem ist eines von nur zwei Zentren weltweit, die sich der Behandlung der seltenen vererbbaren Generkrankung F.D. widmet. In New York befindet sich das zweite Zentrum.
Die Erkrankung – auch als Riley-Day-Syndrome bekannt, nach den Entdeckern der Krankheit Riley und Day in 1949 – ist autosomal rezessiv vererbbar und betrifft fast ausschließlich ashkenasische Juden. Sind beide Eltern Träger der Krankheit, ergibt sich eine 25 %ige Möglichkeit, dass das gemeinsame Kind erkrankt.
Jeder 30. ashkenasische Jude ist Träger der Krankheit.
Auch Eltern, die bereits mehrere gesunde Kinder bekommen haben, tragen das Risiko, dass beim nächsten Kind ihre „nicht gesunden Gene“ aufeinander treffen, und ein krankes Kind zur Welt gebracht wird.
Etwa 350 Erkankte leben verteilt in Israel und den USA, wenige in Europa, wobei die Dunkelziffer wesentlich höher sein dürfte, da die meisten Menschen noch nie etwas von dieser Krankheit gehört haben und erst nach einigen Jahren des „Rätselratens“ an Ärzte geraten, die von der Krankheit wissen.
Die Erkrankung betrifft vorwiegend und unter anderem das Autonome Nervensystem, also das System unseres Körpers, das nicht dem  Willen unterworfen ist. (Blutdruck, Puls, etc)
Extreme Blutdruckschwankungen von wesentlich zu hohem Blutdruck bis zu niedrigem Blutdruck innerhalb kürzester Zeit, sowie fehlende Tränenflüssigkeit und die nicht bestehende Koordination des Verdauungssystems sind Hauptmerkmale dieser Erkrankung, aber keinesfalls die einzigen. Hinzu kommen häufig das Fehlen von Heiß-und Kalt-, sowie Schmerzempfinden, was logischerweise immense Gefahren mit sich bringt, Kleinwuchs und Unter-bzw. Spätentwicklung, sowie Sprachschwierigkeiten, Wirbelsäulenverkrümmungen und nicht regelrechter Gang. Die Intelligenz ist so gut wie nie betroffen.

Prof. Dr. Maayan, die Leiterin des Jerusalemer Zentrums weiß aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit Betroffenen zu berichten, dass jeder Erkrankte andere hervorstechende Symptome aufweist. Bei den meisten wird aber wegen der großen Schwierigkeiten beim Schlucken von Nahrung – häufig schon kurz nach der Geburt – eine Art „äußerer Zugang zum Magen“ operativ hergestellt, mit der sogenannten „Gastrostomie“. Auf diese Weise kann das komplizierte obere Verdauungssystem, was bei den Betroffenen über keinerlei Koordination verfügt, umgangen werden.
Es soll u.a. vermieden werden, dass die Erkrankten Nahrung in die Lunge aspirieren, was zu häufigen Lungenentzündungen führen würde.
Die Nahrung wird dann vorwiegend, oder ausschließlich durch diesen Zugang verabreicht.
Erkrankte Dysautonomie-Patienten neigen dazu, sich unverhältnismäßig oft zu verschlucken, was in vielen Fällen eines der ersten Merkmale ist, die den Eltern eines erkrankten Kindes nach der Geburt auffällt. Das Kind nimmt nicht zu und entwickelt sich nur verzögert. Häufiges minuten-oder stundenlanges Erbrechen ist keine Seltenheit und sorgt – solange die Diagnose noch nicht gestellt wurde – für einen Ärztemarathon und häufige Krankenhausaufenthalte, da die meisten Mediziner, besonders in Europa, sich mit der sehr seltenen Krankheit nicht auskennen.
Die Eltern sind verzweifelt und hilflos, weil keine Behandlung die heftigen Anfälle zu beeinflussen scheint.
Ist die Diagnose – durch einen einfachen Gentest (Bluttest)– erst einmal gestellt, besteht zwar keine Aussicht auf endgültige Heilung, jedoch kann die Lebensqualität durch Einwirken vieler Faktoren erheblich verbessert werden.
Ein weiteres auffälliges Symptom ist das Fehlen von Tränen. Die Kinder weinen „tränenlos“.
Das Fehlen von Tränenflüssigkeit erfordert die äußerliche regelmäßige, mehrfach am Tag zu verabreichende Gabe von „Augentropfen“, sogen. künstliche Tränen, um das Auge vor Austrocknung zu bewahren. Im schlimmsten Falle kann die Erkrankung zur Erblindung führen, da Fremdkörper, die ins Auge dringen, aufgrund der fehlenden Schmerzempfindlichkeit nicht bemerkt werden und so das Auge schädigen können.
Bei vielen Patienten liegt eine erhebliche Verkrümmung der Wirbelsäule vor.

„Einige unserer Patienten sitzen irgendwann im Laufe ihres Lebens im Rollstuhl“ berichtet Dr. Maayan, „aber es gibt auch leichtere Fälle der Erkankung.“
Sie berichtet über liebevolle Hingabe der Eltern und über Eltern, die nach der Diagnose ihr Kind einfach im Krankenhaus ließen, aus Angst, nicht mit der schwierigen Aufgabe fertig zu werden.
„Es gibt alles im Zusammenhang mit der schweren Erkrankung,“ so Dr. Maayan, „Eltern, die nach 5 gesunden Kindern plötzlich ein an Dysautonomie erkranktes Kind bekamen und bis dahin nicht einmal ahnten, dass sie selbst Träger der Krankheit sind und Paare, die sich vor der Hochzeit testen lassen, da sie von der Existenz der Krankheit Kenntnis haben.
Es gibt orthodoxe Paare, die bewusst ein erkranktes Kind adoptieren und sich liebevoll unter Einsatz all ihrer Kräfte der Pflege widmen und Eltern, die die Sorge um ihr Kind regelrecht auffrisst. Es ist äußerst wichtig, wie ernsthaft Eltern unsere Empfehlungen für den Alltag nehmen, denn häufig hängt davon die Verbesserung der Lebensqualität und die Überlebenschance des Kindes ab. Die Verabreichung von Sauerstoff, die Gabe von Augentropfen und das aufmerksame Beobachten der Blutdruckwerte sind nur ein paar der lebenswichtigen Umgehensweisen. Aber Vorwürfe kann man den Eltern fast nie machen. Sie geben ihr Bestes, und sind durch ein erkranktes Kind enorm belastet.“
Naama, die Krankenschwester des multifunktionalen Teams, berichtet darüber, wie stark der Wunsch der meisten Heranwachsenden chronisch Kranken nach einem Partner ist. „Es ist traurig, mit anzusehen, wie häufig manche unserer Kranken weder einen guten Freund, noch Lebenspartner finden. Andererseits gibt es einige, die sogar glücklich verheiratet sind und Kinder haben!“ strahlt sie.

„Da es zurzeit noch keine Heilung gibt, liegt unser Hauptaugenmerk auf der Früherkennung der Träger und darauf, dass in Zukunft möglichst viele ashkenasische Juden Kenntnis von der Krankheit haben,“ so Prof. Dr. Maayan, „Die Organisation Dor Jesharim, deren Zentrum in Brooklyn, New York sitzt,  bietet ein Screening für familiäre Dysautonomie, sowie die vererbbaren Krankheiten Tay-Sachs und Cystic fibrosis an. Zweigstellen der Organisation, deren Begründer 1980 Rabbi Joseph Ekstein war, der zwei Kinder an die Krankheit Tay-Sachs verloren hat, gibt es in Israel, sowie in einigen anderen Ländern. Ein einfacher Histamin-Test gibt uns aber bereits Aufschluss auf die Krankheit und ist schnell und schmerzlos zu machen.“
Fällt der Histamin-test negativ aus, heißt das aber noch nicht, dass man kein Träger der Krankheit ist. Ein positiver Test jedoch sollte weitere Bluttests nach sich ziehen.
„Immer wichtiger wird es uns, dass die jüdische Bevölkerung (ashkenasische Juden) weiß, dass es diese Krankheit gibt und dass man sich zur Sicherheit testen lassen kann. Das verhindert Überraschungen bei der Geburt des Kindes, wenn plötzlich schwere Symptome auftauchen, die nicht zugeordnet werden können. Leider gibt es auch bei uns in Israel immer wieder Eltern, die die Krankheit geheim halten wollen, aus falsch verstandener Scham. Nicht selten wird dann der Rest der Familie gar nicht erst über die Krankheit informiert oder darüber aufgeklärt, dass die Familie belastet ist. Solch ein Verhalten nimmt den Verwandten die Chance, selbst darüber zu entscheiden, inwieweit man sich testen lässt oder bestehenden Kinderwunsch überdenkt. Es ist nicht sehr verantwortungsvoll.“
Dr. Maayan steht in Israel mit vielen der behandelnden Ärzte in Kontakt und unternimmt in Sachen „Dysautonomie“ häufige Auslandsreisen.

„Erkrankte aus Europa kommen auch häufig zu uns nach Jerusalem, weil sie und ihre Eltern sich  bei uns am besten beraten fühlen. Wir stehen aber den behandelnden Ärzten jederzeit mit unserer Erfahrung zur Seite, so dass sie vor Ort im Ausland auch optimale Behandlung erfahren können,  so Dr. Maayan, „mindestens ein-bis zweimal im Jahr wird jeder Kranke aus Israel (auf Wunsch auch aus dem Ausland) hier vorstellig, um von unserem Team, das aus Ärzten, Krankenschwestern, Sozialarbeitern und Physiotherapeuten besteht, begutachtet zu werden.“
Aufklärung und Wissen über die Existenz der Krankheit ist sicher der erste Schritt hin zu einer schnelleren Diagnose im Falle von unklaren Symptomen bei Neugeborenen. Ashkenasische Juden ,die wissen wollen, ob sie Träger der Krankheit sind, können sich anonym testen lassen.
Prof. C. Maayan, Direktorin des Israeli Center for Dysautonomia

Dysautonomia Foundation

Autorin des Artikels: Noa Assmann

Die Sache mit der Ernährung, der Demenz und dem Patientenwillen (2)

Die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen beginnt, sich vor Gericht und damit im Alltag durchzusetzen. Das am 25.06.2010 durch den BGH verkündete Urteil erlaubt am Ende vielleicht doch das Sterben. Die Tochter einer Wachkomapatientin hat  – nach Beratung durch einen Medizinrechtler – den Schlauch der PEG-Sonde durchgeschnitten, da ihre Mutter in einem solchen Zustand keine künstliche Ernährung wünschte (und dies offenbar in einer Patientenverfügung festgelegt hatte). Der Rechtsanwalt wurde in erster Instanz des versuchten Totschlags schuldig gesprochen. Der Bundesgerichtshof hat dieses Urteil aufgehoben und hierbei festgestellt, daß die Einwilligung der Patientin in einen Behandlungsabbruch  nicht nur die Unterlassung einer weiteren Ernährung sondern auch aktives Tun, das der Beendigung oder Verhinderung einer von ihr nicht gewollten Behandlung diene, rechtfertigt. Es wurde eine klare Unterscheidung getroffen zwischen  dem auf Lebensbeendigung ausgerichteten strafbaren Töten des Patienten und Verhaltensweisen, die dem krankheitsbedingten Sterbenlassen des Patienten mit seiner Einwilligung seinen Lauf lassen.

Auch innerhalb der Ärzteschaft hat  – schon seit ein paar Jahren – ein Umdenken begonnen. Im Deutschen Ärzteblatt war bereits 2007 der Artikel  „Ernährung bis zuletzt erschienen, in dem hervorgehoben wird, daß der Patientenwille entscheidend ist.  Im Falle von Demenz im fortgeschrittenen Stadium ist der Nutzen einer PEG-Sondenernährung nach wie vor nicht belegt und wird von der Europäischen Gesellschaft für Parenterale und Enterale Ernährung auch nicht empfohlen (S.11).

Hirschhausen kann singen!

Gestern abend habe ich Eckart von Hirschhausen zum ersten Mal live erlebt – er kann nicht nur witzig sein, er kann auch noch gut singen! Ich bin ja sonst kein Fan von Gesang im Kabarett, aber er kann wirklich singen. Sehr schade, daß die von ihm interpretierten Lieder nicht auf der neuen CD Liebesbeweise sind.

Hier ein kleiner Vorgeschmack:

Live hört er sich noch viel besser an!

Maßnahmen gegen den Ärztemangel

In Deutschland hat man mittlerweile den Ärztemangel registriert und selbst der Politik und Verantwortliche des Gesundheitssystems beginnen zu verstehen, daß „man“ etwas tun muß. Aus der Klinik hätte ich da ein paar Vorschläge zur Verbesserung der Attraktivität der ärztlichen Tätigkeit:

1. Bestrafung für Dienste abschaffen:

Je mehr Dienste man macht, desto mehr Minusstunden sammelt man an, da man ja „abfeiert“, also am Folgetag nicht arbeitet. Das ist schon legal, nur attraktiv ist es eben nicht. In der Klinik, in der ich arbeite, sammeln diejenigen, die wenige Dienste machen, Überstunden und nehmen Freizeitausgleich, während diejenigen, die viele Dienste machen, Minusstunden ansammeln und ihnen dann auch vorgeworfen wird, halbe oder ganze Montasgehälter zu schnorren!

2. Rückendeckung bei unberechtigten Beschwerden:

Es macht keinen Spaß, als Prellbock für Angehörige und Patienten zu dienen und anschließend für unberechtigte Beschwerden zitiert zu werden und sich obwohl man im Recht ist, entschuldigen zu müssen! Zeigt doch endlich mal Rückgrat! Allgemeine Regeln des Anstandes gelten nicht nur für Ärzte, sondern auch für Angehörige und Patienten.

3. Traut Euch endlich, den Patienten und ihren Angehörigen zu sagen, daß die derzeitige Anspruchshaltung ohne einen wesentlichen Anstieg der Kosten nicht erfüllt werden kann:

Ein grippaler Infekt oder ein Beratungsgespräch, weil es einem gerade einfällt, müssen nicht im Notdienst stattfinden! Rückenschmerzen kann man auch durch den Kauf und die Einnahme von Schmerzmitteln lindern – dazu muß man nicht Notaufnahmen von Krankenhäusern blockieren! Rettungswagen sind keine Taxis!

Die Systemfehler des Medizinbetriebs – aus der Sicht der im Krankenhaus Tätigen (1)

Lange habe ich hier nicht mehr geschrieben – das reale Leben hat einfach überhand gewonnen – die behält es auch weiter, aber die Unwegsamkeiten des Medizinbetriebes beschäftigen mich dennoch.

Die Ansprüche von Patienten und Angehörigen werden von Jahr zu Jahr größer. Wenn ein  Mensch in ein Krankenhaus, sagen wir aufgrund einer Gastroenteritis, in ein (Vorstadt-)Krankenhaus eingeliefert wird, fällt es nicht wenigen Angehörigen ein, der Stationsarzt könne doch bitte den Hals-Nasen-Ohren-Arzt hinzuziehen, weil Opa ja schon so lange schlecht höre. Diesem Wunsch wir oft  großer Nachdruck verliehen –  bis hin zu Beschwerden bei dem in beinahe allen Krankenhäusern vorhandenen Qualitätsmanager. Da darf der Stationsarzt dann antreten und sich rechtfertigen, wenn er den HNO-Arzt nicht gerufen hat.

Qualitätsmanagement ist eine sehr gute Sache, auch wir sind Dienstleister, aber der Trend geht aktuell in die Richtung „Der Angehörige ist König“  – und das nicht in Hinsicht auf die medizinische Qualität der Patientenversorgung sondern in Hinsicht auf die subjektiven Wünsche und Bedürfnisse der Angehörigen, denen meist in vollem Umfang statt gegeben wird. Wehe dem, der diesem Prinzip nicht Folge leistet. Wehe den Schwestern, die eine Patientenbrille in die Tasche eines Patienten packen, die dann vom Sohn des Patienten nicht sofort gefunden wird. Nach einem Anruf beim zuständigen Qualitätsmanager stehen Pflegedienstleitung, Stationsleitung und Schwestern Kopf, es wird die Brille gesucht – umsonst, versteht sich – , eine Rechtfertigung geschrieben. Jemand ruft im Altenheim an – ja, die Brille habe sich mittlerweile gefunden, natürlich sei sie in der Tasche gewesen. Eine Nachricht der Angehörigen erhält man selbstverständlich nicht, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Schwestern und Ärzte stehen ohne Rückendeckung in freier Schusslinie der Angehörigen, alle müssen wir antreten und Abbitte leisten, auch dann, wenn wir im Recht sind. Wir dürfen angeschrien, des Diebstahls beschuldigt und beschimpft werden – antworten aber darf man nicht einmal zurückhaltend, nein  – man muß freundlich lächeln.

Ich habe nicht Medizin studiert, um Halbgöttin in Weiß zu sein, auch ein Arzt ist nur ein Mensch.  Das Ausmaß, in dem man Prellbock der Emotionen ist, hat ganz wesentlich zugenommen. Die Attraktivität der klinischen Tätigkeit hat proportional abgenommen. Noch kann ich nicht ohne meine Patienten auskommen – ich brauche die Arbeit am Patienten, um in meinem Beruf glücklich zu sein – das Fachgebiet aber werde ich nach Abschluß meiner Facharztausbildung zur Internistin wechseln.

„Wir sind in Deutschland auf diese Situation gut vorbereitet“

…schreibt das Bundesministerium für Gesundheit auf seiner Homepage in Bezug auf die Schweinegrippe.

Die durch das RKI empfohlenen Maßnahmen werden eingehalten, aber wie immer auf kuriose Weise. Die Theorie ist klar und wird entsprechend weitergegeben. De facto ist aber unklar, wer die Kosten für Schnelltest und PCR trägt. Aktuell handhaben das die meisten „Hausärzte“ in der Umgebung unserer Klinik so, daß sie Patienten vorsichtshalber gar nicht erst behandeln sondern wie im KV-Notdienst bereits weidlich praktiziert mit der Bemerkung „Gehen Sie gleich in die Notaufnahme“ an uns weiterreichen, damit die Kosten sie ja nicht treffen. Natürlich wird eine Meldung an das Gesundheitsamt von den Hausärzten damit tunlichst vermieden.

Als ich bei einer der Verteiler auf die Krankenhäuser auch Hausärzte genannt anrief, das Ergebnis des Schnelltestes weitergab und mich traute, nachzufragen, warum man denn nicht selbst einen Schnelltest gemacht oder gemeldet habe, bekam ich zur Antwort, der Schnelltest müsse vom Patienten getragen werden und die Klientel am Ort sei nicht bereit, dies zu tun. Da man sich mit seinen Patienten nicht über monetäre Angelegenheiten streiten wolle, habe man die Patientin zu uns geschickt.

Nach Auskunft der Bürgerhotline werden die jeweiligen Tests – sofern medizinisch notwendig – durch die Krankenkassen getragen (bei Privatversicherten abhängig vom Vertrag).

Wie immer werden wir uns nicht mit der Hand streiten, die uns füttert (und ein Krankenhaus lebt ja von den Einweisungen der Niedergelassenen), aber unsauber ist das Weiterreichgebaren dennoch.